Vielerlei Dinge geschehen irgendwann mal zum ersten Mal im Leben. Das erste Wort, der erste Schritt, der erste Zahn, der erste Suff, der erste Schultag, der erste Kuss, die erste Schleglete, der erste Aareschwumm (ich kann noch lange!), die erste Wohnung, der erste Lohn, die erste Anstellung, das erste Haustier, das erste Piercing, der erste Ehekrach, das erste Kind, das erste Mal, der erste Knochenbruch, die erste Wanderung (ich hab noch lange nicht genug!), die erste Zeile Code, das erste Natel, das erste Auto, die erste Scheidung, der erste Flug, der erste Ausflug ins Verkehrshaus Luzern (oder von mir aus ins Technorama), die erste Aufregung, die ersten Ferien (nun ist aber langsam gut!), das erste Güschefescht, die erste Brille, das erste Plüschtier, der erste Fussballmatch, die erste Hürde, der erste Blogeintrag, die erste Hypothek, der erste Wespenstich, der erste Haarschnitt, der erste Atemzug oder die erste Blutspende. Vielleicht nicht zwingend in dieser Reihenfolge, und vielleicht auch nicht alles davon.
Ich habe einiges davon erlebt, und seit Donnerstag, 18. Juli 2013, 11:20 Uhr auch letzteres, denn ich habe Dein Leben mit Meinem Blut gerettet. Vielleicht. Ob mein Blut brauchbar war, weiss ich ja noch nicht.
Aber gespendet habe ich es jedenfalls, und das ging so:
Mit vorausgefülltem Fragebogen kam ich leicht ausser Atem und mit erheblich erhöhtem Puls an. Mein desolates Zeitmanagement hatte mich zu einem Spurt gezwungen, wenn ich um 10:30 pünktlich erscheinen wollte. Den Spurt hätte ich mir allerdings schenken können, musste ich doch noch ein Weilchen warten, bis die Eintrittsärztin frei war und sich meiner annehmen konnte. Ich überbrückte die Wartezeit derweil mit drei kleinen Toberonen, 4 Schöggeli und einem Fläschli Wasser.
Als ich an der Reihe war, wurde zuerst mein Blutdruck gemessen (ich fiel schon beinahe in Ohnmacht, nur weil ich meinen Puls unter der Druckmanschette spürte – ich hasse so Zeug! Blut, Puls, Herz, Nadeln – alles Teufelszeug!), der Puls genommen («Dir heit chline höche Puls. Sit dr e bitz närvös?» Jaja, ich schob’s auf die Nervosität. Die nette Dame musste ja nicht um mein desaströses Zeitmanagement und den dadurch implizierten Spurt wissen) und der Fragebogen kontrolliert. Es sprach nichts dagegen, mir Saft abzuzapfen, und so durfte ich ein Zimmer weiter, wo mich auch schon die nächste Ärztin erwartete. Die bot mir Traubenzucker an, stach mir in den Finger, um meinen Hämoglobinwert zu messen (war hoch genug), und nachdem sie mich dann im System erfasst hatte (Erstspender. Das dauert dann ein Weilchen), wies sie mich an, es mir auf einer Liege meiner Wahl gemütlich zu machen. Meine Wahl fiel auf eine Liege ganz am andern Ende des Raumes, wo mich auch schon die dritte Ärztin in Empfang nahm. «Grüessech, dir sit dr Herr … Manuel Friedli?» (sie hatte auf meinem Fragebogen gespickt). Ich bejahte. Danach musste ich mein Geburtsdatum nennen und es konnte losgehen. Sie drückte ein wenig an der rechten Armbeuge herum, dann an der linken, und entschied sich, mich links zu stechen. «So, itz dänket eifach a öppis schöns, u de ich das scho gly überstande.» Super. Denken Sie doch selber an öppis Schönes! Der Anblick von Nadeln und Blut treibt mir den Angstschweiss aus allen Poren, wie soll ich mich da entspannen, wissend, dass mir gleich die linke Armbeugenvene aufgestochen wird!
Trotzdem gab ich mir natürlich redlich Mühe. Ich dachte an grüne Matten und blaue Ozeane, an schneebedeckte Bergketten, frische Luft und hellen Sonnenschein, ich wanderte im Geiste durch blumige Wiesen und kühle Wälder, aber sosehr ich mich auch anstrengte, es gelang mir einfach nicht ganz, zu ignorieren, wie sehr die durchaus charmante Ärztin da mit ihrer Lismernadle meine Vene perforierte. «Geit’s?» fragte sie scheinheilig, und natürlich sagte ich ja, weil ich nicht als der Höseler erscheinen wollte, der ich nun mal war. Als es dann aber schon ziemlich zog und stach im Arm, erdreistete ich mich, hinzuzufügen, «Es sticht eifach echli». «Ja», kam die Antwort, «das tuet mr leid, aber öji Vene isch da grad gar fyyn, i fürchte, da chunnt nüt use.» Und ob da was rauskam! Ich hatte es nämlich am Ellenbogen tröpfeln gespürt, und vor meinem geistigen Auge hatten sich die klaren Bergbächlein längst in reissende Ströme roten Blutes verwandelt! Ob es mir recht sei, wenn wir noch den rechten Arm probierten? fragte sie mich. SICHER NICHT, SIND SIE NOCH BEI TROST? Ich will nur noch, dass es aufhört!!!, dachte ich und sagte: «Jaja, keis Problem, sicher. Isch ja fürne guete Zwäck.» Ich Tubeli.
Sie rufe dann gleich die andere Ärztin herbei, denn die goldene Regel laute, dass nicht die gleiche Ärztin zweimal einen Patienten stechen dürfe, verkündete sie, derweil sie meinen linken Arm mit einem kleidsamen gelben Verband versorgte.
Die zweite Ärztin güferte dann an meinem rechten Arm umenand, und schon nach deutlich kürzerer Zeit sagte sie, es sei jetzt gut, ich solle mich einfach entspannen, es rünnele jetzt ganz ordeli. «Itz blibet eifach ruig lige u dänket a öppis schöns». Schon wieder an etwas schönes denken? Unmöglich, mein Vorrat an schönen Gedanken war aufgebraucht. Sowieso, da die Wiesen und Wälder zuvor nicht die erhoffte Wirkung gezeitigt hatten, brauchte ich eine neue Strategie, um der Verlockung einer erlösenden Ohnmacht zu entrinnen, und so versuchte ich nun, mich mit moderner Technik abzulenken, zückte das Mobiltelefon und vertrieb mir die Zeit im Internet.
Und wie ich die vertrieb, diese Zeit! Ich hatte kaum die ersten paar Beiträge auf Google+ gelesen, da wuselte die Ärztin schon herbei, zerrte die Pipeline aus der Vene und verschloss das Bohrloch mit einem roten Verband.
Derart gelb-rot ausgestattet, spielte ich kurz mit dem Gedanken, mich bei der FIFA als Kartenersatz für Fussballspiele zu melden. Einen guten Draht zum Sepp hätte ich ja, kenne ich doch seinen ganz persönlichen Briefträger. Ich verwarf die Idee dieser alternativen Berufslaufbahn aber wieder, als mir klar wurde, dass ich dann höchstwahrscheinlich das ganze Spiel über dem Schiri am Arsch hängen oder mich in der Brusttasche verkriechen müsste, bis ich zum Einsatz käme.
Ich liess mir viel Zeit mit Aufstehen, und das hat sich gelohnt, denn ohnmächtig wurde ich nicht, und so war ich nach nicht einmal einer Stunde wieder auf dem Weg an den Arbeitsplatz. Programmieren konnte ich zwar den ganzen Nachmittag über nicht mehr, mit je einem Verband links und rechts, aber was soll’s. Es war ja für einen guten Zweck.
Und was blieb mir von meinem Einsatz? Eine mördermässig grosse Bläuele in der linken Armbeuge. Fetzig!
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