Aasatzwys

Einem pur lauteren Zufall ist es zu verdanken, dass ich meinen heutigen Abend in der La Cappella verbrachte. Und das kam so:

Wir marschierten durch die Stadt, es mag wohl 18 Uhr gewesen sein, als mir ein Mensch auf einem Plakat ins Auge sprang. Ich blinzelte und sagte «Lue jitz» zu J. G. aus B., derweil ich ihn zum Plakat zerrte, «dä kenneni! Das isch dr Mischa, dä isch Trubaduhr!» Noch etwas fiel mir auf, und zwar, dass er heute Abend um 20 Uhr eben im La Cappella spielen würde. Ein Steilpass für Kurzentschlossene, also! Der Herr G., der fühlte sich vom angekündigten «Chanson» nicht so angetan, so dass sich eine Trennung unseres gemeinsamen Wegs abzeichnete. Ich aber machte mich zeitig auf, das neue Programm «Aasatzwys» mitzuerleben.

Ich will gar nicht viele Worte verlieren, Konzertkritiken sind nun wahrlich nicht meine Stärke. Aber ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass es sich absolut gelohnt hat, und dass diesen Abend zu verpassen einem unvergleichlichen Malheur gleichgekommen wäre. Witzige und tiefgründige Texte, die einem mal ein Schmunzeln entlocken, mal die Stirn in Denkfalten zwingen, und dazu eine Gitarrenmusik, wie es sich für einen waschechten Troubadouren gehört: Mani Matter hätte sich jedenfalls eine Scheibe von Mischa abschneiden können, wenn er nicht schon seit über 40 Jahren tot wäre. Vielleicht hat er ja von oben herab zugeguckt und -hört, dann wird er sich auf seiner Wolke sicher prächtig amüsiert haben.

Ich freue mich jetzt darauf, die erworbene CD Wortwärts in den nächstgelegenen CD-Player meines Vertrauens zu legen und mir mit berndeutschen Chansons das Leben zu versüssen.

Gute Nacht.

Eine Uhr sieht rot

Ziemlich enttäuscht bin ich, muss ich sagen. Da eröffneten  die SBB am 14. August 2014 – also vor exakt 135 Tagen, wenn ich mich nicht verrechnet habe – mit viel Pomp ihren neuen Hauptsitz im Wankdorf und präsentierten dabei die überdimensional grosse Uhr, und nun sowas:

Oben rechts will die Anzeige nicht so, wie sie sollte
Oben rechts will die Anzeige nicht so, wie sie sollte

Meine erste Enttäuschung erlebte ich ja bereits an der Eröffnung selber, als ich merkte, dass es nicht eine echte, rechte, mechanische Uhr ist, sondern bloss ein billiges Digitaldisplay. Und nun, nach wie gesagt 135 Tagen, ist genau dieses Display bereits kaputt?! Da frage ich mich doch, worein denn die kolportierten 700’000 Franken investiert wurden. In billige Ware aus China? Ganz offensichtlich, ja! Schade!

Da lobe ich mir meine kleine, feine Armbanduhr.

Ist dir übrigens aufgefallen, dass ich im Zusammenhang mit unseren geliebten Schweizerischen Bundesbahnen den Plural verwendet habe? Ich bin der Meinung, es sollten mir alle gleichtun. Leider aber machen dies nicht einmal die SBB selber. Ich muss wohl mal eine Sitzung mit Herrn Meier buchen und mich mit ihm darüber unterhalten.

Nun denn. Gute Nacht.

Sehet her und leset, denn dies ist meine Schrift

Was ich heute erlebt habe, bedarf eines Beitrages, denn es war eindrücklich und beängstigend zugleich: Ich war in der katholischen Weihnachtsmesse.

Eigentlich wollte ich ja nur den Chor und die Musik hören gehen, aber das ist nur recht schlecht möglich, ohne der ganzen Zeremonie beizuwohnen, und so betrachtete ich um elf Uhr morgens, als ich die Dreifaltigkeitskirche betrat, die kommenden anderthalb Stunden als kulturelle, religiöse und allgemeine Weiterbildung. Gehört hatte ich ja schon von diesen katholischen Gottesdiensten, wo der Prälat etwas sagt und die Gemeinde wie von Geisterhand antwortet. Und nun sollte ich es also selber erleben! Und wie ich es erleben sollte!

Die Kirche war schon gut gefüllt, als ich ankam, aber ich fand trotzdem noch ein Plätzchen, relativ weit hinten, am Rande einer Sitzbank. Ich installierte mich und bemerkte, dass auch bei den Katholiken die Sitzbänke nicht bequemer sind als bei uns Protestanten: Nur ein ganz dünnes Sitzkissen für den Allerwertesten und eine Rückenlehne, die jedem Spinalorthopäden Tränen der Freude entlocken muss, weil er mit grosser Kundschaft rechnen kann. Da auch die Beinfreiheit mehr als zu wünschen übrig liess, versuchte ich, meinen rechten Fuss auf dieser Fussleiste vor mir zu deponieren, was mir aber auch nicht behagte. Der einzige Effekt dieses Versuchs war, dass der alte Mann zu meiner Linken mich wütend anschnaubte, an der Fussleiste zu nesteln begann und sie hochklappte. Ah, hatte ich mich also geirrt: Es war gar keine Fussleiste, sondern eine Kniefallraste, auf der sich fromme Christen fortan die Hosen dreckig machen, weil ich sie mit meinen Schuhen beschmutzt habe. Ich entschuldige mich hierfür nachträglich.

Derweil ich auf den Beginn des Spektakels wartete – und mich selbstverständlich in Grund und Boden schämte für mein Fussleistenmissgeschick – blieb mir genügend Zeit, einmal die Kirche in Augenschein zu nehmen. Ein schönes Gebäude! Das Presbyterium in schönem Sonnengelb bemalt, die Fenster glasig und bunt, die Decke hoch, die Säulen aus glänzend poliertem Stein mit manierlichen Kapitellen, alles in allem ein ansprechender Eindruck, der sich mir bot.

Das Klingeln eines hellen Glöckleins riss mich aus meinen Betrachtungen und ich staunte nicht schlecht, als plötzlich eine ganze Horde weissgekleideter Gestalten den Mittelgang entlang schritt. Ein Mann trug gar einen wunderbar goldgelben Talar, um den ich ihn ein wenig benitt (benod? benied? Leider kennt nicht einmal die Gesellschaft zur Stärkung der Verben das Präteritum von beneiden), hierbei handelte es sich ganz offensichtlich um den Sektenguru. Das Personal war eingetroffen, es konnte also losgehen!

Eine merkwürdige Angelegenheit, so eine katholische Messe. Eröffnet wurde sie vom Oberzauberer persönlich mit den Worten «Liebe Mitmenschen», was mich ein wenig enttäuschte, hatte ich doch mit einer lateinischen Litanei gerechnet. In der Tat war es dann aber immerhin so, dass sich zeitweilig ein eigenartiger Dialog zwischen Publikum und Priester entspann, dem ich aber nicht folgen konnte. Ich konnte nicht einmal ein eindeutiges Stichwort ausmachen, das die Gläubigen zu ihrem Gemurmel angestiftet hätte. Für mich ging das wie durch Zauberei.

Auch das ewige aufstehen und absitzen schien mir anfänglich eine sonderbare Sitte. Mit der Zeit aber kam ich auf das tiefere Geheimnis dieses Brauches: Steht der Mensch auf, so hindert ihn das am Entschlummern in die tiefen Täler traumlosen Schlafes. So gesehen ist es eine glatte Sache, mit einer simplen Armbewegung ganze Menschenmassen auf- und abzudirigieren.

Der nächste Höhepunkt bot sich beim Abendmahl: Der Priester brach die Oblate, erzählte, was Jesus beim letzten Abendmahl erzählt hatte, hob die Oblate hoch über seinen Kopf, und dann wurde gebimmelt, was das Zeug hielt: Zuerst *dödlöng-dödlöng-dödlöng* von links, dann höher *didling-didling-didling* von rechts und dann nochmal *dödlöng-dödlöng-dödlöng* von links. Danach  nahm der Gottesdiener den Kelch mit dem Wein, erzählte, was Jesus beim letzten Abendmahl erzählt hatte, und hob den Kelch hoch über seinen Kopf. Wieder *dödlöng-didling-dödlöng*. «Dasch ja itz no cheibeluschtig mit dene Glöggeli», hatte ich gerade noch Zeit, zu denken, als bereits die nächste Bedrohung in Form eines Messdieners nahte: Langsam und drohend schritt er mit einer Schale voller Oblaten in der Hand den Gang entlang auf mich zu, und mich durchzuckte es siedendheiss: Jetzt ist Interaktion mit dem Publikum gefragt! Die Knie wurden mir weich wie Butter, denn schliesslich war dies meine erste Messe und ich hatte doch keine Ahnung, was man da beim Abendmahl zu tun pflegt. Stellte ich mich jetzt dumm an, dann flöge ich auf, und alle wissen, was fromme Katholiken mit Ungläubigen anstellen: Sie stecken sie auf den Scheiterhaufen. Zum Glück sind heutige Katholiken aber weit weniger radikal als ihre mittelalterlichen Vorfahren, und so überlebte ich das Abendmahl unbeschadet, indem ich einfach an meinem Platz sitzen blieb und dem Treiben aus sicherer Distanz zuschaute.

Bald darauf der nächste brenzlige Moment: Der Priester hatte irgend etwas gesagt (meine Gedanken waren in dem Moment leider gerade abgeschwoffen), und plötzlich begannen alle in der Kirche, sich gegenseitig die Hände zu schütteln. Ich wunderte mich und wusste nicht, wie mir geschah, als meine mir vollkommen unbekannte Sitznachbarin meine Hand ergriff und mir wohl eine frohe Weihnacht wünschte. Zu baff war ich, als dass ich verstanden hätte, was genau sie mir sagte. Ich lächelte einfach freundlich und stellte mich dumm, was mir ja nicht allzu schwer fällt.

Irgendwann einmal war dann der Gottesdienst fertig, und vielleicht sollte ich jetzt auch noch erwähnen, dass sowohl Chor als auch Orchester und Orgel wirklich gut gespielt und gesungen haben. Insbesondere die Solosänger verdienen lobende Worte, hierfür hat sich mein abenteuerlicher Ausflug gelohnt.

Mein abenteuerlicher Ausflug, der ja noch gar nicht zu Ende erzählt ist! Als ich nämlich die Kirche verlassen hatte, und noch ein wenig vor dem Eingang herumstand, stand wie aus dem Nichts plötzlich der goldgelb-betalarte Priester vor mir, lächtelte mich an, ergriff meine Hand und sprach: «E fröhlechi Wiehnacht wünsch ich ihne!» Ich war ganz und gar verdattert und sagte, glaub ich, nur: «Merci, glichfaus», denn zu mehr sah ich mich momentan ausserstande. Ich schnappte mir schnell mein Velo und rauschte vondannen.

… vielleicht doch nicht eine ganz so verkehrte Sache, dieser Gottesdienst, wenn man denkt. Liesse man den ganzen langweiligen Sermon weg, mit dem ich als streng säkular geprägter Mensch nichts anfangen kann, dann bliebe ein schönes musikalisches Erlebnis und freundliches Händeschütteln, gegen das – ausser aus hygienischer Sicht – nicht das Geringste einzuwenden ist. Wer weiss, vielleicht gehe ich wieder einmal Katholiken schauen.

Dem Wutbürgertum frönen

Wie jeden Mittag hatte ich Hunger und war damit in bester Gesellschaft. Also assen wir.

Ich kommandierte eine kleine Tagespizza und einen Dreier Rivella, wohl wissend, dass ich mit dem SBB-Rabatt auf einen Preis um die sechzehn Franken kommen würde. S. U. aus B. bestellte derweil ebenfalls die kleine Pizza mit eine halben Liter Eistee dazu.

Wir assen.

Dann wollten wir zahlen. Und jetzt geht die Komedi los, in deren Verlauf ich schon mal ausfällig werden kann. Du bist also gewarnt.

«E chlyyni Tagespizza une drüer Rivella», sagte ich dem Kellner, der mir dafür 18 Franken heuschte. Mich dünkte das zwar ein bisschen viel, aber als Gutmensch sagte ich natürlich nichts, sondern bezahle artig, gab dafür aber kein Trinkgeld.

Die Reihe kam an Herrn U., der für seine kleine Pizza und seinen grossen Eistee sage und schreibe sechzehnfrankenfünfzig – in Zahlen: CHF 16.50 – löhnen musste. Da ging mir ein Lichtlein auf und der Laden runter: «Was!? Wieso mues itz är mit em GROSSE Iistee weniger zahle aus ig mit em chlyyne Rivella!?» entfuhr es mir. Der Kellner lachte nur. Ich verlangte, den Kassenzettel zu sehen. Aber auf mein «Chani mau dr Zedu gseh?» erhielt ich bloss die schnippische Antwort «Nei, sicher nid», wiederum garniert mit einem hämischen Lachen. Da wurde ich wirklich ein wenig sauer. So ein verdammter Saupigger, so geht man doch nicht mit der Kundschaft um! So einen unflätigen Troglodyten habe ich meinen Lebtag noch nie in einem Restaurant erlebt!

Derart erregt echauffierte ich mich noch ein wenig weiter, mit dem Resultat, dass der Blindfisch endlich zugab, sich vielleicht ein wenig verrechnet zu haben und mir einen Franken zurück geben wollte. Aber von diesem arroganten Arschloch wollte ich keine Almosen annehmen. Das führt nun dazu, dass ich in Zukunft den Gasthof Tiefenau in Worblaufen der Konsequenz zu liebe leider meiden muss. Schade, denn die Pizzen sind gut!

Einen positiven Punkt hatte es ja schon: Dank dieser Nülpe bot sich mir die formidable Gelegenheit, mit voller Wucht dem Wutbürgertum zu frönen, was ich zugegebenermassen genoss.

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